die Abgabe von Erklärungen, bei denen auf der Grundlage bestimmter Deskriptionen (Wahrnehmungen, Beobachtungen, sprachliche Aussagen, Messungen) der Erkenntnisgegenstand (z. B. intelligentes Verhalten von Personen) in Form von theoretischen Sätzen bzw. Begriffen (theoretische Konstrukte; z. B. Faktorentheorien der Intelligenz) repräsentiert wird. Alle Schritte der Deskription, theoretischen Repräsentation (bzw. Konstruktion) und schließlich der Organisation und empirischen Geltungsbegründung wissenschaftlicher Erklärung implizieren bestimmte methodische Regeln, mit deren allgemeiner Analyse und Begründung sich die Wissenschaftstheorie (z. B. die "Logik der Forschung" nach Popper) beschäftigt. Diese Methoden betreffen allgemeine Prinzipien wissenschaftlicher Erklärungen (z. B. das Prinzip der empirischen Falsifizierbarkeit theoretischer Konstrukte und ihres Erklärungsanspruches), aber auch spezielle Methoden der Erkenntnis (Beobachtungsmethoden, experimentelle Methoden, Meßmethoden, Methoden der statistischen Datenanalyse etc., Forschungsmethoden). Insbesondere letztere Methoden enthalten bestimmte mathematisch-formale Annahmen (z. B. Normalverteilung) und sind hinsichtlich ihrer Angemessenheit gegenüber dem Erkenntnisgegenstand (bzw. Gegenstandstheorie) und allgemeinen Zielen der Erkenntnis (Beschreibung, Erklärung, Prognose etc.) nicht nur nach ihrer Werkzeugfunktion, sondern auch nach ihrer Modellfunktion zu beurteilen. Der Erkenntnisgegenstand wird durch die formale Struktur und die implizierten mathematisch-statistischen Annahmen modelliert. So verbindet sich z. B. mit der Anwendung der multivariaten Methode der Faktorenanalyse nicht nur die Werkzeugfunktion der strukturellen Datenreduktion. Angewendet in der Persönlichkeitsforschung impliziert die Faktorenanalyse darüber hinaus auch eine Modellfunktion, in dem sie den Erkenntnisgegenstand Persönlichkeit gemäß einer Linearkombination von grundlegenden Variablen (Faktoren) strukturell modelliert. Diese methodische Implikation muß auch im Rahmen der Realisierung aller Ziele wissenschaftlicher Erkenntnis wie Deskription, Erklärung und Prognose berücksichtigt und hinsichtlich Widerspruchsfreiheit gegenüber den Annahmen der theoretischen Konstrukte zum Inhalt des Erkenntnisgegenstandes kritisch geprüft werden. Damit kann vermieden werden, daß die wissenschaftliche Erklärung schließlich mit artifiziellen Aussagen belastet wird.
Wissenschaftliche Erklärung als übergeordnetes Ziel wissenschaftlicher Erkenntnis organisiert sich nach bestimmten Konstruktionen und wissenschaftstheoretisch begründeten Regeln. Eine der bekanntesten und auch in der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie üblichen Grundformen ist die deduktiv-nomologische Erklärung nach Hempel und Oppenheim. Dieses sog. H-O-Schema hat folgende logische Schlußform:
Das zu erklärende Ereignis (Explanandum E) wird durch allgemeine Gesetze G1, G2 (bzw. theoretische Sätze) unter Geltung bestimmter Randbedingungen (Antezedensbedingungen A1,A2, ...) erklärt.
Je nach Art der Gesetze, Antezedentien und Ableitebeziehungen lassen sich verschiedene Formen der Erklärung unterscheiden. So enthält die ursprüngliche Form der deduktiv-nomologischen Erklärung Gesetze deterministischer Art und führt zu einer Kausalerklärung im Sinne des Rückgriffs auf Wirkursachen. Für Anwendungen in der Psychologie wird man jedoch in der Regel von probabilistischen Theorien ausgehen, und es handelt sich dann um eine statistische Erklärung mit Wahrscheinlichkeitsaussagen. Darüber hinaus gibt es z. B. historische, dispositionale, genetische und auch teleologische Erklärungsmöglichkeiten, die im Prinzip auch dem H-O-Schema folgen.
Die deduktiv-nomologische Erklärung ist typisch für naturwissenschaftlich-empirische Erkenntnis. Zur Einschätzung der Güte und Korrektheit wissenschaftlicher Erklärungen werden bestimmte Adäquatheitsbedingungen angegeben. Dazu gehören z. B. die logische Korrektheit des Arguments, das vom Explanans zum Explanandum führt, und vor allem die "Wahrheit" der Sätze der Explanans, üblicherweise gebunden an die empirische Bewährung der Sätze. Insbesondere die theoretischen Sätze müssen der Falsifikationsmöglichkeit ausgesetzt werden. Nur beim Scheitern dieser Falsifikation können die jeweiligen theoretischen Konstrukte zum empirisch geprüften Bestandteil wissenschaftlicher Erklärung werden.
Das H-O-Schema wurde auch in der Psychologie gewöhnlich mit Fragestellungen verknüpft, die Theorien implizieren, die etwas über die Wirkursachen bezüglich der zu erklärenden Ereignisse aussagen (z. B. genetische und soziale Einflüsse auf die Intelligenz). In der Psychologie sind die Theorien in der Regel probabilistisch, und es resultieren statistische Erklärungen als Wahrscheinlichkeitsaussagen (meistens in Verbindung mit Methoden der Prüfung statistischer Signifikanz). Klassische Naturwissenschaften wie die Physik können auch auf deterministische Gesetze zurückgreifen. Wissenschaftliche Erklärungen enthalten dann auch den Rückgriff auf Wirkursachen, führen aber zu Kausalerklärungen (z. B. Fallgesetz: Erklärung des freien Falls u. a. durch die Wirkursache der Erdanziehung).
In der Biologie werden den Erklärungen nach Wirkursachen (Warumfrage, z.B. physiologische Wirkursachen der Wahrnehmung) als Ergänzung auch Erklärungen nach Zweckursachen (Wozufrage) gegenübergestellt. Man fragt dann nach den Zielen und Zwecken eines erklärungsbedürftigen Verhaltens (z. B. Wahrnehmungsfähigkeit zum Zweck der Umweltanpassung). Zweckorientierte Erklärungen nennt man auch teleonome Erklärungen, weil das zu erklärende Verhalten auf hierarchische Systemziele wie individuelle Existenzsicherung, Sicherung der Fortpflanzungsmöglichkeit, Erhaltung von Art bzw. Genom gerichtet ist mit dem allgemeinen Ziel der evolutiven Anpassung. Die Gesetzesaussagen im Erklärungsschema müssen dann z. B. theoretische Aussagen aus der Verhaltensbiologie (Ethologie) und Evolutionsbiologie darüber enthalten, wie die Zweckursache der evolutiven Anpassung ein erklärungsbedürftiges Verhalten reguliert. Diese teleonome Erklärungsebene (ultimate Erklärung) ergänzt die Erklärung nach Wirkursachen (proximate Erklärung).
Die Biologie gewinnt ihre Erkenntnisse auf beiden Erklärungsebenen, z. B. innerhalb der vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) durch Kombination klassischer Methodik der beobachtungsorientierten Verhaltensanalyse (unter Einschluß der Evolutionsbiologie) mit der Verhaltensphysiologie und Genetik.
Auch die Biopsychologie geht diesen doppelten Weg wissenschaftlicher Erklärung, in dem sie Erkenntnisse der Physiologie (z. B. Neurophysiologie, Psychophysiologie) und Genetik (z. B. Verhaltensgenetik) mit evolutionstheoretischen (Evolutionspsychologie) und vergleichender ethologischer Forschung (Humanethologie, Soziobiologie) kombiniert. Wahrnehmungsverhalten würde dann auf der Basis neurophysiologischer und genetischer Wirkursachen (proximat) und durch evolutionsbiologische Zweckursachen hinsichtlich evolutiver Anpassung (ultimat) erklärt.
Diese allgemeinen Konzepte der doppelten Verankerung wissenschaftlicher Erklärung an Wirk- und Zweckursachen könnte im Prinzip auf alle Gegenstandsbereiche der Psychologie angewendet werden.
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