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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

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Hormone

Autor
Autor:
Julia Schneider-Ermer

Grundlegende Prozesse

Hormone werden entweder in drüsigen Organen (glanduläre Hormone), in den Epithelien peripherer Organe, wie Lunge, Darm usw. (Gewebshormone) oder im Gehirn (= Neurohormone oder Neuromodulatoren) gebildet. Viele Hormone können sowohl im Gehirn als auch im peripheren Gewebe vorkommen oder auch im Nebennierenmark, in zentralnervösen Neuronen und in den sympathischen Nervenenden, wie z.B. die Katecholamine. Funktionell ist anzumerken, daß die meisten Hormone sehr verschiedenartige, sowohl somatische als auch psychische Funktionen beeinflussen, und daß umgekehrt verschiedene Hormone beim Zustandekommen einzelner psychischer Emotionen oder Verhaltensweisen zusammenwirken.

Einen Überblick über die hierarchische Anordnung des neuroendokrinen Netzwerkes gibt die Abb., stark reduziert auf die grundlegenden Prozesse und die wichtigsten Drüsen. Es wird ersichtlich, daß die glandotropen Hormone der Hypophyse meistens durch übergeordnete, sogenannte releasing-Faktoren im Hypothalamus gesteuert werden, und daß diese wiederum durch Neurotransmitter freigesetzt oder gehemmt werden können. Neben solchen kaskadenförmigen Achsen mit peripheren Drüsen gibt es auch Hormone, die direkt aus dem Gehirn oder der Hypophyse an den Wirkort gelangen.



Systeme

Die im Zentralnervensystem (ZNS) wirksamen Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin üben über direkte Innervation des Hypothalamus eine fundamentale Regulation des gesamten Hormongeschehens aus. Während Serotonin und Noradrenalin insbesondere die Produktion des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH) im Hypothalamus stimulieren, übt Dopamin über tuberoinfundibuläre Neurone in die Hypophyse einen (hemmenden) Einfluß auf z.B. die Prolaktinproduktion aus. Im Hypothalamus regen nervale Stimuli die neuroendokrinen Zellen zur Produktion von Hormonen an, die ausschließlich steuernde Funktionen anderer Hormonsysteme übernehmen. Über eine Art Pfortadersystem gelangen die Hormone direkt in das Gewebe des Hypophysenvorderlappens (HVL), wo sie die weitere Hormonproduktion anstoßen. Zu den wichtigsten, sogenannten Releasing-Hormonen zählen das CRH, FSH-RH, LH-RH und TRH, die alle der Gruppe der Peptide angehören

Der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) kommt in der hormonellen Regulation sicherlich eine fundamentale Rolle zu. Sie gliedert sich in einen Vorderlappen (HVL, bevorzugt Drüsengewebe, Adenohypophyse) und einen Hinterlappen (HHL, eher neuronales Gewebe, Neurohypophyse). Im HVL werden zum einen glandotrope (drüsensteuernde) Hormone produziert. Das adrenokortikotrope Hormon [ACTH] führt zur Stimulation von Kortisol in den Nebennierenrinden, das Schilddrüsen stimulierende Hormon [TSH] zur Produktion von Schilddrüsenhormonen und das Follikel stimulierende Hormon [FSH] sowie das luteinisierende Hormon [LH]) zur Stimulation der weitereren Hormonproduktion in den Gonaden (daher Gonadotropine). Zum anderen werden aber auch Wachstumshormon (growth hormone, GH) und Prolaktin (PRL) als nicht glandotrope Hormone sezerniert, wobei GH grundsätzlich für die Steuerung von Wachstumsprozessen in der Kindheit, PRL hingegen für die Laktation während der Stillzeit von Bedeutung sind. Für die PRL-Regulation liegen keine klassischen Releasing - Hormone vor, man weiß jedoch, daß z.B. Serotonin und TRH als stimulierende, Dopamin hingegen als hemmende Faktoren Einfluß auf die PRL-Sekretion nehmen. Im HHL wird das antidiuretische Hormon (ADH) freigesetzt, welches die Wasserausscheidung der Niere hemmt und darüber hinaus an der Steuerung des Muskeltonus der Blutgefäße beteiligt ist (daher die synonyme Bezeichnung Vasopressin) sowie das Oxytozin ausgeschüttet, welches den Milchfluß während der Laktation unterstützt und an der Uteruskontraktion während der Geburt beteiligt ist. Des weiteren werden im HVL aus dem Vorläufermolekül Proopiomelanocortin (POMC), von dem auch ACTH abstammt, diverse Neuropeptide mit Hormonwirkung produziert (Endorphine, Enkephaline, Dynorphine, Melanozyten stimulierendes Hormon etc.).

Die Schilddrüse liegt unterhalb des Kehlkopfes und ist von grundsätzlicher Bedeutung für Stoffwechselprozesse. Die von ihr ausgeschütteten Hormone Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) regulieren den Sauerstoffverbrauch von Zellen, Kalcitonin den Kalziumstoffwechsel. Mit einem Mangel (Hypothyreoidismus) oder Überschuß (Hyperthyreoidismus) von Schilddrüsenhormonen können mannigfaltige Funktionseinschränkungen des Organismus verbunden sein (z.B. Basedow-Krankheit). In den Nebenschilddrüsen findet auf Absenkung des Kalziumspiegels die Produktion des Parathormons statt. Dieser Prozeß wird zusätzlich vom Vitamin-D unterstützt. Von gewissermaßen antagonistischer Wirkung ist das Kalzitonin, welches bei Kalziumüberschuß ausgeschüttet wird.

In den Nieren findet die Produktion von Renin statt, welches nicht nur in der Blutdruckregulation von Bedeutung ist, sondern auch das Protein Angiotensinogen zum Angiotensin I umwandelt, welches seinerseits in den Lungen zum Angiotensin II verändert wird und ebenfalls Einfluß auf die Blutdruckregulation ausübt.

Die Nebennieren bestehen aus der Rinde (NNR) und dem Nebennierenmark (NNM). Hormone, die in der NNR produziert werden, zählen zu den Steroidhormonen:

a) Glukokortikoide (in der zona fasciculata der NNR) sind für den Kohlenhydratstoffwechsel zuständig. Wichtigster Vertreter ist Kortisol, das neben zahlreichen physiologischen Funktionen (Einfluß auf Bindegewebe, Immunsystem, Blutzucker, Blutbild, Blutdruck, Fettverteilung im Körper) vor allem im Rahmen von Streßuntersuchungen Bedeutung hat;

b) Mineralokortikoide (in der zona glomerulosa der NNR) regeln den Elektrolythaushalt. Wichtigster Vertreter ist Aldosteron, das für die Psychoneuroendokrinologie als Einflußfaktor auf emotionale Veränderungen relevant ist;

c) Androsteroide (zona reticularis): Wichtigste Vertreter sind das männliche Geschlechtshormon Testosteron und seine Vorstufe Dehydroepiandrosteron.

Im NNM werden die Katecholamine Noradrenalin (NA), Adrenalin (A) und Dopamin (DA) synthetisiert, die im Zentralnervensystem als Neurotransmitter wirken und peripher das autonome Nervensystem beeinflussen. Sie sind an der Aktivierung einer Vielzahl physiologischer Funktionen beteiligt (z.B. Herz-Kreislauf-System, Immunsystem u.a.) und werden aufgrund der nerval bedingten Steuerung sehr viel schneller ausgeschüttet als Hormone, die der Aktivierung durch Kaskaden unterliegen.

Die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) ist für die Produktion von Insulin, Glukagon und Somatostatin verantwortlich. Insulin bewirkt die Verwertung von Kohlenhydraten und Glukose und wird in den B-Zellen der Langerhans-Inseln produziert. Das Glukagon entstammt den A-Zellen und stimuliert die Leber, Glykogen (gespeicherten Blutzucker) abzubauen und dem Kreislauf wieder als Glukose zuzuführen. Es ist darüber hinaus an der Glukoneogenese (Umbau von Körpereiweiß, Fett und Laktat zu Glukose) beteiligt und kann generell als Gegenspieler zum Insulin angesehen werden. In den D-Zellen findet die Produktion von Somatostatin statt, welches die Produktivität von A- und B-Zellen reduziert und somit die Sekretion von Insulin und Glukagon unterdrückt.

In den Keimdrüsen (Gonaden) findet die Produktion der Geschlechtshormone statt. Zu den Androgenen (männliche Geschlechtshormone) gehören u.a. Testosteron welches die Geschlechtsdifferenzierung, die Samenbildung und den Geschlechtstrieb des Mannes steuert. Die Hauptvertreter der weiblichen Reproduktionshormone sind Östrogene (Östradiol) und Gestagene (Progesteron). Östradiol ist am Aufbau der Uterusschleimhaut (Menstruationszyklus), dem Befruchtungsprozeß sowie der Geschlechtsdifferenzierung beteiligt. Progesteron bereitet auf die Aufnahme des befruchteten Eies vor und ist von fundamentaler Bedeutung für die Induktion und Aufrechterhaltung der Schwangerschaft.

Neben den hier aufgestellten Hormonen sind weitere Neuromodulatoren für psychoneuroendokrinologische Fragestellungen von Bedeutung. Gerade innerhalb der letzten Jahre konzentrierte sich die Forschung auf eine ständig steigende Zahl von Neuropeptiden, von denen einige in den o.a. klassischen Hormonkaskaden erwähnt wurden, die aber einer Ergänzung um die Gruppe der endogenen Opiate und einiger wichtiger gastrointestinaler Peptide bedürfen. Innerhalb der endogenen Opiate ist Beta-Endorphin von besonderer Bedeutung. Es wird aus dem hypophysären Proopiomelanocortin (POMC) gebildet und ist beteiligt an Prozessen der körpereigenen Analgesie aber auch an psychotropen Funktionen. Das im Darm produzierte Cholezystokinin, welches an der Steuerung von Sättigungsprozessen beteiligt ist, kommt auch in Neuronen des mesolimbischen Dopaminsystems vor. Diese Ko-Lokalisation ist eine wichtige Voraussetzung für das Verständnis der wechselseitigen Beziehungen zwischen Neuropeptiden und Verhalten. Ebenfalls von psychoneuroendokrinologischer Bedeutung ist das Neuropeptid Y, welches nicht nur an der Ausschüttung verschiedener Hormone (Kortisol, Insulin, Aldosteron und ADH) beteiligt ist, sondern auch metabolische Vorgänge und die Nahrungsaufnahme steuert. Ähnlich ist die ubiquitär produzierte Substanz P an der Ausschüttung vieler hypophysärer Hormone und der Katecholamine, an Entzündungsprozessen und an der sensorischen Reizverarbeitung der Haut beteiligt. Das in der Zirbeldrüse aus Serotonin gebildete Melatonin ist vor allem an der Regulation des Tag-Nacht-Rhythmus beteiligt und induziert Schlaf.



Regulationsprozesse

1) Rückkopplungsprozesse: Wie eingangs angedeutet, unterliegt die Regulation der Hormonausschüttung komplexen Rückkopplungsprozessen, die sich am Beispiel der Hypothalamus - Hypophysen - Nebennierenrindenachse (HHNA) beschreiben lassen. Die durch eine Freisetzung von CRH und ACTH ausgelöste Kortisolantwort hemmt auf hypothalamischer Ebene die weitere Freisetzung von CRH (und in der Folge von ACTH) über eine negative Rückkopplung mit dem Effekt, daß sich die Kortisolkonzentration reduziert. Die reduzierte Kortisolkonzentration (Wegfall von negativer Rückkopplung) führt danach wieder zum Anstieg der CRH-Freisetzung. Regulationsprozesse dieser Art können durchaus auch mit morphologischen Veränderungen von Drüsen verbunden sein. Bei zu geringer Hormonfreisetzung können Drüsenhyperplasien die Folge sein (z.B. Kropfentstehung bei T3/T4-Mangel).

Die Provokation dieser Rückkopplungsmechanismen, zu der zahlreiche Tests zur Verfügung stehen, ist klinisch als Differentialdiagnostikum von großer Bedeutung und findet neben klassisch endokrinologischen Fragestellungen (z.B. Diagnose von Cushing-Syndrom) Anwendung in der psychiatrischen Praxis und Forschung, da sich verschiedene psychiatrische Erkrankungen mit distinkten Regulationstörungen verschiedener Hormon-Achsen verbinden.

2) Rhythmen: Für Neuropeptide und Hormone sind zahlreiche Rhythmen bekannt. Der am besten erforschte ist der Tagesrhythmus (circadianer Rhythmus), der die Form einer Sinuskurve über annähernd 24 Stunden annimmt, wobei zwischen schlafabhängigen und schlafunabhängigen Rhythmen zu unterscheiden ist. Bezüglich z.B. der Hypophysenvorderlappenhormone und Neuropeptide weiß man, daß ACTH und in der Folge Kortisol aber auch Beta-Endorphin und Melatonin, "echte" circadiane Verläufe (Synchronisation durch externe Stimuli, Licht- und Temperaturabhängigkeit etc.) aufweisen, während z.B. GH, Prolaktin und TSH stark vom Schlafverhalten abhängen. Die Gipfelkonzentrationen (Akrophase) für ACTH, Kortisol und Beta-Endorphine liegen in den frühen Morgenstunden (zwischen 6 und 9 Uhr), diejenigen für PRL, TSH, GH, FSH und LH zwischen Mitternacht und 2 Uhr nachts. Desgleichen finden sich Rhythmen dieser Art für Peptide und Hormone der Hypothalamus-Hypophysen-Gonadenachse (HHGA) aber auch der Hypothalamus - Hypophysen- Schilddrüsenachse (HHSA). Neben Tagesrhythmen sind auch solche kürzerer Phasen bekannt, die sich zum Beispiel auf das pulsatile Sekretionsverhalten einiger Peptide beziehen (z.B. LH).

Ein weiteres Beispiel für rhythmische Veränderungen ist der lunare Rhythmus des Menstruationszyklus. Im Anschluß an die Menstruation folgt nach einer ca. fünftägigen Latenzphase der Hormone ein allmählicher Anstieg des Östrogens in der sogenannten Follikelphase, die ihren Gipfel ca. am 14. Tag nach der Menstruation erreicht. Der Anstieg des Östradiols löst den LH-Anstieg aus, welcher die Umwandlung des Follikels in den Gelbkörper zur Folge hat, der dann in der Lutealphase das Progesteron, aber auch Östrogen, produziert. Dies erreicht ca. am 21. Tag seinen Gipfel. Beide Hormone sinken zur Menstruation hin wieder ab.

Darüber hinaus zeigen einige der beschriebenen Hormonkaskaden eine von den Jahreszeiten abhängige Rhythmizität, wie z.B. die HHSA.

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