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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Mikropolitik

Autor
Autor:
Klaus-Dieter Zumbeck

auch: polity, policy und politics, ein facettenreicher Begriff, der erstmals von Tom Burns (“Micropolitics: Mechanisms of Institutional Change, 1961/62) verwendet wurde. 1) In Deutschland wurde "Mikropolitik" durch verschiedene Arbeiten von Bosetzky (1972) bekannt – als “die Bemühung, die systemeigenen materiellen und menschlichen Ressourcen zur Erreichung persönlicher Ziele, insbesondere des Aufstiegs im System selbst und in anderen Systemen, zu verwenden sowie zur Sicherheit und Verbesserung der eigenen Existenzbedingungen”. 2) Nach Crozier und Friedberg (1979) sind Organisationen nicht (nur) zweckrationale, wohlgeordnete Gebilde, sondern Arenen mikropolitischer Aushandlungsprozesse und Kämpfe, in denen individuelle, kollektive und korporative Akteure ihre (Macht-) Spiele spielen (Macht). Besonders interessant sind Spiele, die unbestimmt sind und mehrere Lösungen zulassen sowie die Spiele, in denen Zurückhaltung, Filterung oder Verzerrung von Informationen grundlegend sind. Für Reorganisation und Wandel in Organisationen sind deshalb Routinespiele und Innovationsspiele von besonderer Bedeutung. 3) Nach Ortmann (1995) ist Mikropolitik “eine mikroskopische Analyse der wechselseitigen Konstitution von organisationalem Handeln und (Organisations-) Strukturen” (Strukturationstheorie), ist also nicht im Sinne von innerorganisationalem Kleinkrieg und Verhindern sensu Bosetzky zu verstehen, sondern verweist immer auch gleichzeitig auf die Funktion des Ermöglichens.

Die Spielmetapher im Konzept der Mikropolitik rückt den Eigensinn im Handeln der Akteure verstärkt ins Blickfeld und ermöglicht dadurch ein dialektisches Verständnis des Verhältnisses von Macht und Widerstand gegen die organisationalen Zwänge und harten Rahmenstrukturen einerseits und von Bewältigungs-, Anpassungs- und Abwehrmechanismen hinsichtlich Konsens, Partizipation und Demokratisierung andererseits. Die sozialen Akteure wählen nach dieser organisationspolitischen Perspektive jeweils ihre eigene Strategie “aktiv” aus. Ihr Verhalten ist also nicht das Produkt passiven Gehorsams oder einer einfachen Konditionierung durch das "System", sondern grundlegendes Instrument kollektiven Handelns, das Menschen erfunden haben, um ihre Zusammenarbeit und die damit unweigerlich verbundenen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu strukturieren und zu regeln und sich dabei doch ihre Freiheit zu belassen (Crozier & Friedberg, 1993, S. 4). Diese Freiheit bedeutet dann allerdings auch die Anerkennung der eigenen Verantwortlichkeit für das berufliche Handeln sowie das Wissen um eine kollektive Mitverantwortung für die Gestaltung und Konstruktion der Realität (Ethik in Organisationen, Mobbing, Konflikte, harmonische, Verantwortung).

Literatur

Ortmann, G., Sydow, J. & Windeler, A. (1997). Organisation als reflexive Strukturation. In G. Ortmann, J. Sydow & K. Türk (Hrsg.), Theorien der Organisation. Die Rückkehr der Gesellschaft. Opladen: Westdeutscher Verlag


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