die Arbeits- und Organisationspsychologie ist eine anwendungsorientierte Gestaltungswissenschaft. Sie ist von ethischen Fragen in Organisationen in doppelter Hinsicht betroffen. Zum einen müssen ihre eigenen Gestaltungsvorschläge einer kritischen Prüfung durch die Ethik standhalten (z.B. Personalauswahlverfahren; Berufseignungsdiagnostik). Zum anderen leistet sie Beiträge zur Lösung von als ethisch problematisch bewerteten Sachverhalten in Organisationen (z.B. Mikropolitik). Die normative Ethik baut auf drei Grundprinzipien auf, nämlich auf dem Respekt vor den ethisch-moralischen Grundrechten von Personen, auf der gerechten Klärung von zwischen Personen konfligierenden Ansprüchen sowie auf dem Schutz und der Förderung des Gemeinwohles. Die Bewertung eines Sachverhaltes unter der Grundrechte-, Gerechtigkeits- oder Gemeinwohlperspektive kann jedoch zu partiell unterschiedlichen Ergebnissen führen (Ethik).
Personalauswahlverfahren sollen das Recht auf Selbstbestimmung und psychische Unversehrtheit wahren. Um Transparenz zu gewährleisten, sollen Bewerber vor der Durchführung eines Auswahlverfahrens über dessen Ziele, Modalitäten und Folgen aufgeklärt werden. Die Auswahlprozeduren sind takt- und respektvoll durchzuführen. Durch die Schweigepflicht des Diagnostikers gegenüber Dritten sollen Personen vor einer möglichen sozialen Stigmatisierung geschützt werden. Eine pragmatische Annäherung an diese Zielvorgaben stellen die Kriterien der sozialen Validität von Auswahlverfahren dar. Das Problem der Fairness von Auswahlstrategien stellt sich bei der Frage, ob Personen ausschließlich aufgrund ihres Abschneidens in einem Diagnoseverfahren ausgewählt werden sollen, oder ob und gegebenenfalls in welcher Weise auch andere Kriterien wie z. B. Geschlecht oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit bei Auswahlentscheidungen zum Tragen kommen sollen. Wenn andere Kriterien hinzukommen, hätte dies zur Folge, daß von einer eignungsoptimierenden Zuweisung von Personen zu Stellen abgewichen wird. Insgesamt kommt es darauf an, in einem Feld konkurrierender Interessen die Risiken und Lasten von Auswahlverfahren keiner Seite einseitig aufzuerlegen.
Innerhalb der Organisation unterstellen sich die Beschäftigten den Weisungen einer Führungskraft. Sie geben damit einen Teil ihrer Selbstbestimmung im Vertrauen darauf auf, daß die Führungskraft dies weder zugunsten der Organisation noch zu ihren eigenen Gunsten mißbrauchen wird (Führung). Daraus resultiert eine ethisch-moralische Verantwortung der Führungskraft gegenüber den Beschäftigten. Aus diskursethischer Sicht hat die Führungskraft diese Fürsorgepflicht nach dem verantwortungsethischen Prinzip der fortschreitenden Erübrigung zu handhaben. Dies bedeutet, daß sie die Situationsbedingungen in ihrem Zuständigkeitsbereich möglichst transparent gestalten und die Beschäftigten so führen soll, daß sie im Rahmen ihres intraorganisationalen Handelns Stück für Stück wieder Selbstverantwortung übernehmen können. Disziplinarmaßnahmen sollen nicht willkürlich erfolgen, sondern nur vor dem Hintergrund einer allseits bekannten Betriebsordnung. Die Disziplinarmaßnahme selbst und die Umstände ihrer Verhängung sollen außerdem so sein, daß sie nicht mit dem Recht auf körperliche (Züchtigung), seelische (Traumatisierung) und soziale (Verlust der Würde) Unversehrtheit konfligiert (Mobbing) Jemanden zu nötigen, gegen das eigene Gewissen zu handeln, würdigt eine Person auf den Status eines puren Mittels für von anderen vorgegebene Zwecke herab und verletzt dadurch das ethisch-moralische Grundrecht auf rationale Selbstbestimmung. Gelangt die Führungskraft zu der Überzeugung, daß ein Organisationsmitglied aus redlichen Motiven eine Arbeit aus Gewissensgründen verweigert und sein Anliegen ernstlich geprüft hat, sollte die Führungskraft sich darum bemühen, das Organisationsmitglied mit einer anderen Tätigkeit zu betrauen. Die Lehre von der Beschäftigung nach Gutdünken begründet den Anspruch, uneingeschränkt Entlassungen vornehmen zu können (employment at will), mit den Eigentumsrechten des Arbeitgebers. Im Gegensatz dazu steht die Forderung nach einem geordneten Kündigungsverfahren (due process). Danach sollen Kündigungen nach kodifizierten Regeln erfolgen. Ein Kündigung soll nicht willkürlich, sondern nur beim Vorliegen bestimmter Sachverhalte ausgesprochen werden dürfen. Die Gründe der Kündigung sollen dem Betroffenen mitgeteilt werden. Er soll die Möglichkeit haben, zu diesen Gründen Stellung zu nehmen und dadurch gegebenenfalls erwirken können, daß die Kündigung zurückgezogen wird. Gleichartige Fälle sollen dabei gleich behandelt werden. Ungleiche Fälle sollen dagegen ihrer Eigenart nach verschieden behandelt werden.
Von der interdisziplinären Gesellschaft für Arbeitswissenschaft sind folgende Kriterien der humangerechten Arbeitsgestaltung postuliert worden: Personen sollen bei der Arbeit schädigungslose, ausführbare, erträgliche und beeinträchtigungsfreie Arbeitsbedingungen vorfinden. In bezug auf den Arbeitsinhalt, die Arbeitsaufgabe, die Arbeitsumgebung sowie die Entlohnung sollen Standards sozialer Angemessenheit erfüllt werden. Weiterhin soll Arbeit mit Handlungs- und Tätigkeitsspielräumen verbunden sein, sie soll die Gelegenheit bieten, Fähigkeiten zu erwerben. Sie soll dem Arbeitenden Zufriedenheit (Arbeitszufriedenheit) verschaffen sowie seine Persönlichkeit erhalten und weiterentwickeln. Die Arbeitenden sollen außerdem an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen beteiligt werden. Schließlich sollen die Auswirkungen der Arbeit sozialverträglich (z. B. familienfreundlich) sein. Neuerdings wird ergänzend die Forderung nach Umweltverträglichkeit von Arbeit aufgestellt (Umweltpsychologie). Diese Kriterien können als faktischer normativer Konsens in der Arbeitswissenschaft gelten. Je nach weltanschaulicher Position werden sie jedoch unterschiedlich begründet.
Planungsfehler, Sicherheitsmängel und hohe Katastrophenrisiken sind Begleiterscheinungen der technisch-industriellen Forschung und Produktion. Wie zahlreiche Fallbeispiele zeigen, waren diese Gefahren und Risiken in den Betrieben, Planungsbüros und Labors häufig längst bekannt, ehe es zu Todesfällen und Katastrophen kam (Risiko). Organisationsangehörige sind oft Experten für die Mißstände vor Ort. Finden sie organisationsintern mit ihren Warnungen kein Gehör, so tragen sie zum Schutz der Öffentlichkeit bei, indem sie diese Risiken publik machen. Organisationsangehörige, die sich mit einem vermeintlichen Mißstand in der Organisation an die Öffentlichkeit wenden, sollten jedoch ihre Vorwürfe nach bestem Wissen und Gewissen prüfen, ehe sie diese publik machen und damit eventuell den Ruf der Organisation oder die Arbeitsplätze ihrer Kollegen gefährden (Arbeits- und Gesundheitsschutz).
Mikropolitk in Organisationen bezeichnet heimliche Machenschaften in Organisationen. Aus der Perspektive der ethisch-moralischen Grundrechte ist der Einsatz mikropolitischer Taktiken abzulehnen, weil durch Täuschung und List die Möglichkeit einer anderen Person zur rationalen Selbstbestimmung eingeschränkt wird. Aus der Perspektive der Gerechtigkeit ist Mikropolitik abzulehnen, weil sie dazu führt, daß Personen ungerechtfertigt diskriminiert oder systematisch von sie betreffenden Entscheidungen ausgeschlossen werden. Aus verantwortungsethischer Sicht ergibt sich die Forderung, mikropolitische Aktivitäten nach dem Prinzip der fortschreitenden Erübrigung zu handhaben. Personen sollten daran mitwirken, Organisationsstrukturen herzustellen bzw. zu erhalten, die offene Konfliktlösungen ermöglichen.
Literatur
Blickle, G. (Hrsg.). (1998). Ethik in Organisationen. Konzepte, Befunde, Praxisbeispiele. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.
Deiseroth, D. (1997). Berufsethische Verantwortung in der Forschung. Münster: LIT Verlag.
Steinmann, H. & Löhr, A. (1994). Grundlagen der Unternehmensethik (2. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.
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