zwischen »Mann« und »Frau« widersprechen der vorherrschenden Auffassung von einer klaren, durchgehenden Unterscheidung der Geschlechter. Jeder Mann hat auch weibliche, jede Frau auch männliche Eigenschaften. Das gilt sowohl für den Hormonhaushalt wie für die äußere Körperbildung. Die Bisexualität ist bei jedem Einzelnen verschieden stark erhalten geblieben. Es gibt sogar Zwitter, die sowohl männliche wie weibliche Geschlechtsorgane besitzen. Häufiger sind die »unechten Zwitter«, bei denen die Keimdrüsen männlich bzw. weiblich, die äußeren Geschlechtsorgane aber undeutlich ausgebildet sind. Noch häufiger ist zwar die Ausbildung der primären Geschlechtsmerkmale korrekt, während sekundäre Geschlechtsmerkmale fehlen oder eher denen des Gegengeschlechtes entsprechen. So haben manche reife Frauen kaum einen Busen, während sich bei manchen Männern Brüste entwickeln. Auch der Haar und Bartwuchs, die Stimmlage, die Entwicklung der Muskeln und des Körperfettes, die Form des Beckens und des Gesäßes können bei einem Mann oder einer Frau dem Bild widersprechen, das ihr Geschlecht im allgemeinen bietet. Vielfach nimmt man an, daß sich solche äußeren Bildungen stets auch auf Charakter und Verhalten auswirken müßten, daß also ein äußerlich teilweise femininer Mann auch entsprechend feminin empfinden müßte, eine äußerlich vermännlichte Frau eine teilweise männliche Identität entwickelt habe. In der Vielfalt der Erscheinungen wird diese These nicht bestätigt. Es gibt Männer wie Frauen, die äußerliche Züge des anderen Geschlechtes aufweisen und sich dennoch an ihre Geschlechtsrolle halten. Und es gibt äußerlich ausgesprochen maskuline Männer und feminine Frauen, deren Verhalten den Vorstellungen, die man im allgemeinen von ihrem Geschlecht hat, absolut nicht entspricht. Man hat sich über diese Unstimmigkeit mit der Formel hinwegzuhelfen versucht, daß manchmal »in einem männlichen Körper eine weibliche Seele« wohne oder umgekehrt. Nur könnte niemand definieren, was eine weibliche oder männliche Seele denn eigentlich ist. Unsere Vorstellungen von Männ lichkeit und Weiblichkeit richten sich ja mindestens ebenso wie nach der biologischen Beschaffenheit nach den Traditionen, die für das Verhalten von Mann und Frau in unserer Kultur gelten. Die Erziehung der Knaben und Mädchen prägt die Männer und Frauen so vor, wie sie sich dann zeigen. Sie verstärkt beim Manne die Aktivität, bei der Frau die Passivität. Ein stärker passiver Mann gilt bereits als verweiblicht, eine auffallend aktive Frau als vermännlicht. Auch die ausschließliche sexuelle Neigung zum Gegengeschlecht wird als Zeichen der Geschlechtsidentität gewertet. So hat man die Homosexuellen beider Geschlechter zu den Zwischenstufen gerechnet, obwohl es unter ihnen zahllose gibt, bei denen nicht nur alle Geschlechtsmerkmale normal ausgebildet sind, sondern die sich auch mit ihrer Aktivität oder Passivität durchaus nach dem üblichen Bild ihres Geschlechtes richten. Selbst Transvestiten, die sich aus einem inneren Bedürfnis ganz nach dem Bilde des Gegengeschlechtes kleiden und verhalten, auf diese Weise die Ambivalenz einer Zwischenstufe geradezu ausleben, zeigen oft sehr starke Züge ihres eigentlichen Geschlechtes. Die Transsexuellen gehen noch weiter; sie lassen ihre natürlichen Geschlechtsmerkmale künstlich entfernen und die Merkmale des Gegengeschlechtes operativ nachahmen, weil sie glauben, nur so ihr »inneres Wesen« verwirklichen zu können; aber in Wirklichkeit gehören sie nun gar keinem Geschlecht an und finden an dem täuschenden Anschein wohl auch keine dauerhafte Befriedigung. Die modernen Auffassungen über die Bisexualität gehen auf Wilhelm Fließ zurück, der 1906 der weiblichen Periode von 28 Tagen eine männliche von 23 Tagen gegenüberstellte. Aus dem Einfluß dieser beiden Zyklen bei einem bestimmten Individuum leitete er dessen Anteil an Männlichkeit und Weiblichkeit ab. Seine Theorie beeinflußte noch vor der Veröffentlichung Otto Weininger, in dessen Werk »Geschlecht und Charakter« (1902) die Frau als triebgebunden, der Mann als geistig-sittlich hingestellt wurde. Weininger nahm an, jeder Mann suchte in seiner Partnerin soviel Männlichkeit, wie ihm fehlt, so daß sich ihre Weiblichkeit mit der seinen ergänzt. Auch diese Theorie ist als Gesetz unhaltbar. Manche sehr starken Männer haben Frauen gewählt, deren Eignung zum Herrschen eher männlich wirkt. Starke Frauen suchen oft gerade den starken Mann. Willhart S. Schlegel, der die neueste Zwischenstufen-Theorie vorgelegt hat, macht die Einordnung eines Menschen in eine Skala zwischen »andropomorphem« und »gynäkomorphem« Typ von Messungen der Beckenform und der Handbreite abhängig. Er lehrt, daß jede Form des Sexualverhaltens mit einer Position auf dieser Skala zusammenhängt. So werden unter anderem die Perversionen als Ausdruck einer Zwischenstufen-Konstitution erklärt.
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