die »zwiegeschlechtliche« Anlage eines jeden Menschen. Sie zeigt sich bereits in körperlichen Merkmalen, etwa den rudiamentären Brustwarzen des Mannes oder der Penis-ähnlichen Bildung der weiblichen Klitoris. Auch zum Hormonhaushalt gehören bei beiden Geschlechtern in jeweils verringertem Maße die Hormone, die beim Gegengeschlecht vorherrschend sind. Die sekundären Geschlechtsmerkmale, die also nicht unmittelbar der Fortpflanzungsfunktion dienen können, werden unterschiedlich stark entwickelt und nähern sich manchmal eher denen des Gegengeschlechts. Hier spricht man von Zwischenstufen zwischen ausgeprägter Männlichkeit und Weiblichkeit. Die »Geschlechts-Identität«, das heißt, das Bewußtsein, ein Mann oder eine Frau zu sein, hängt allerdings auch von der Annahme der Geschlechts-Rolle ab, wie sie die Gesell Schaft für den Mann oder die Frau vorgeprägt hat. Die Neigung, sich nach Art des anderen Geschlechts zu verhalten, kann aus der Ablehnung der Geschlechtsrolle rühren, die dem eigenen Geschlecht vorgeschrieben ist. Welche seelischen und geistigen Eigenschaften der männlichen oder weiblichen Natur entsprechen, läßt sich kaum sagen, außer daß dem Manne mehr Aktivität und der Frau mehr Passivität zugeordnet werden. Vieles, was wir für typisch männlich oder weiblich halten, ist dies nur dank unserer kulturellen Traditionen. Auch solche Eigenschaften sind jeweils beim Gegengeschlecht angelegt. Wie weit sich ein Mensch insgesamt »männlich« oder »weiblich« entwickelt, hängt von frühen Umwelterfahrungen ab. Im allgemeinen fördert die Erziehungdie Eigenschaften, die dem körperlichen Geschlecht zugeordnet sind, und hemmt die Entwicklung der gegengeschlechtlichen Anlagen. In einzelnen Fällen mag ein Knabe den Eindruck gewinnen, er fände eher Liebe, Anerkennung und Selbstwertgefühl, wenn er ein Mädchen wäre. Häufiger erfahren Mädchen, daß sie als Knaben besser dran wären. Hieraus entstehen »Effeminierung« einerseits und »Vermännlichung« andererseits, bis hin zum Transvestismus (Verkleidung nach Art des anderen Geschlechtes) oder gar Transsexualismus (künstliche Umbildung der äußeren Geschlechtsmerkmale). Bei diesen Entwicklun gen spielen auch die Konflikte eine Rolle, die man mit den Begriffen »Kastrationskomplex«, »Penisneid« oder »männlicher Protest« umschrieben hat. Tatsächlich in der Mitte zwischen beiden Geschlechtern stehen die unechten Zwitter, bei denen die Keimdrüsen zwar eindeutig einem der Geschlechter entsprechen, deren äußere Geschlechtsmerkmale aber nicht deutlich ausgebildet sind, und die sehr seltenen echten Zwitter, die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane besitzen. Es entspricht der bisexuellen Anlage eines jeden Menschen, daß auch jeder ebenso zur gegengeschlechtlichen wie zur gleichgeschlechtlichen Liebe fähig ist. Die ausschließliche Heterosexualität oder Homosexualität sind Ergebnisse der Entwicklung durch Erfahrung, Erziehung und Vorbild. Das ausschließlich hetero oder homosexuelle Verhalten überdeckt die Empfindungen gegensätzlicher Art. Der Heterosexuelle hat seine homosexuellen Tendenzen teils sublimiert, zum Beispiel als Freundschaft, teils verdrängt. Auch bei Homosexuellen bleiben die heterosexuellen Anlagen unbewußt wirksam. Manche Menschen können sexuelle Kontakte ebenso zum eigenen wie zum anderen Geschlecht eingehen ; auch diese Haltung heißt »Bisexualität«.Die psychoanalytische Forschung (Psychoanalyse) hat gezeigt, daß neben den bewußt bisexuellen, das heißt geschlechtliche Beziehungen zu beiden Geschlechtern aufrechterhaltenden Menschen, die in unserer Kultur (nicht aber in der griechisch-römischen Antike) als nicht normal gelten, auch bei den bewußt «rein heterosexuellen» Menschen eine unbewußte Neigung zur Bisexualität (Anima, Animus) besteht. Starre Abwehr der bisexuellen Tendenzen rechnete Freud zu den schwierigsten Situationen der psychoanalytischen Behandlung. Die aggressiven Vorurteile gegen Homosexualität (von Männern und Frauen), wie man sie bei autoritären Persönlichkeiten beobachten kann, sind wohl auch die Folge von Reaktionsbildungen gegen eigene bisexuelle Neigungen.
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