Arbeitslosigkeitseffekte und Prävention. Eine Orientierung von Politik an dem Ziel einer drastischen Verringerung der Arbeitslosigkeit sowie einer gerechteren Verteilung von Arbeit muß als zentraler Ansatz von Primärprävention zur Vermeidung von Gesundheitsschäden durch Arbeitslosigkeit angesehen werden. Hinzu sollten Regelungen treten, die verhindern, daß sich aus kurzfristigen beruflichen Umbrüchen längerfristige und z.T. nur schwer umkehrbare Prozesse sozialer Ausschließung ergeben. Hier sind insbesondere jene Regelungen zu nennen, die Menschen nach einer bestimmten Dauer der Arbeitslosigkeit einen Anspruch auf eine Beschäftigung oder Qualifizierung zusprechen.
Um den psychosozialen Streß zu begrenzen, der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbunden ist, sind Konzepte gesellschaftlicher Begleitung beruflicher Umbrüche zu entwickeln, welche Unterstützung bei beruflichen Übergängen bieten (als ein "sozialer Konvoi", i.S. eines Geleitschutzes, der z.B. Outplacement-/Replacement-Beratungen als auch Qualifizierungsphasen zur Anpassung an Veränderungen des Arbeitsmarktes umfaßt). Sie sollten bereits frühzeitig, z.B. bei Betriebsschließungen, einsetzen und in die integrierte Verantwortung von entlassenden Firmen, Arbeitsverwaltung, Weiterbildung und psychosozialem Sektor gehören. Sie sind als legitimer Anspruch auf eine professionelle Beratung in Tarifverträgen zu verankern. Gleichzeitig müssen individuelle Kompetenzen und Ressourcen gefördert werden, welche die Bewältigung beruflicher Umbrüche durch den Einzelnen erleichtern.
Im Bereich der Sekundärprävention sind Maßnahmen von Arbeits-, Gesundheits- und Sozialverwaltung enger zu vernetzen. Deren Mitarbeiter sollten Möglichkeiten erhalten, sich im Hinblick auf gesundheitliche Probleme von Arbeitslosen zu qualifizieren. Beratungsangebote sind nach Kriterien der Erreichbarkeit, Annehmbarkeit, Angemessenheit und Problemsensibilität zu konzipieren. Insbesondere erscheint die Unterstützung und professionelle Ergänzung von Arbeitslosenzentren und Selbsthilfegruppen in freier, kirchlicher, gewerkschaftlicher oder verbandlicher Trägerschaft geboten, da diese im Vorfeld gesundheitsbezogener Intervention eine wichtige Rolle spielen. Außerhalb des Arbeitsmarktes sollten gesellschaftliche Tätigkeitsangebote geschaffen werden, in denen Arbeitslose soziale Anerkennung erfahren und ihrer sozialen Ausschließung vorgebeugt wird.
Die Tertiärprävention sollte spezifische Reintegrationsangebote für Langfristarbeitslose vorsehen, welche sie bis in die Wiederbeschäftigung hinein begleiten, um erneuten Mißerfolgen vorzubeugen. Für gesundheitlich eingeschränkte Menschen sind angemessene Reintegrationschancen zu eröffnen, was z.T. nur über die Einrichtung öffentlich geförderter Beschäftigung möglich sein wird. Bei Interventionsmaßnahmen sind prozeß- und ergebnisorientierte Evaluationen unter Einbeziehung gesundheitlicher Effekte (auch bei nicht-erfolgreichen Teilnehmern) vorzunehmen, um einen gezielteren Ressourceneinsatz zu gewährleisten.
Als längerfristige Perspektive sollten Überlegungen angestellt werden, wie Unterstützungssysteme für Arbeitslose konzipiert werden können, die für jene keine Momente von Stigmatisierung enthalten und ökonomisch vertretbar sind (z.B. durch intensive Aufarbeitung der Konzepte und konkreter Erfahrungen mit einer sozialen Grundsicherung). Beschäftigungssicherheit der Zukunft wird nicht mehr wie bisher in formalen Absicherungen von Arbeitsverhältnissen liegen, sondern ist eher in der Schaffung einer nachhaltigen Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen zu sehen, die zentrale Aufgabe von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, von Firmen für ihre Beschäftigten (i.S. von lernenden Organisationen) als auch von Weiterbildungs-, Fortbildungs- und Umschulungseinrichtungen sein sollte. Um den Anforderungen zukünftiger flexiblerer Arbeitsmärkte gerecht zu werden wird neben der notwendigen Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung auch vom Einzelnen ein größeres Maß an persönlicher Initiative, Selbstorganisationsfähigkeit und Unternehmungsgeist (Entrepreneurship) entwickelt werden müssen.
Literatur
Kieselbach, T. (1998). Arbeitslosigkeit. In Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Gesundheitsbericht für Deutschland (S. 116-121). Stuttgart: Metzler-Poeschel.
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