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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Exhibitionismus

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

»Ausstellungslust«. Die Neigung, sich bis zur Entblößung vor anderen zu zeigen, ist eng gekoppelt mit der Schaulust, dem Voyeurismus. Beide Tendenzen sind Partialtriebe der Sexualität und tragen bei normaler Entwicklung zur Befriedigung des Lustverlangens (Libido) bei. Sie werden in früher Kindheit geweckt, meist durch die Erwartung, daß ein Geschwisterkind erscheinen wird. Dann beginnt die kindliche Sexualforschung. Man will wissen, woher die Kinder kommen und was der Unterschied der Geschlechter mit ihrem Erscheinen zu tun hat. Indem man sich vor dem anderen Geschlecht zur Schau stellt, erwartet man gleichsam zum Dank, dessen Beschaffenheit genau betrachten zu können. In der Entblößung vor Geschlechtsgenossen, die sich ebenso zeigen sollen, will man sich mit ihnen vergleichen. Besonders will sich der Knabe mit einem erwachsenen Manne, am liebsten mit dem Vater messen; das Mädchen entsprechend mit einer erwachsenen Frau, am liebsten der Mutter. So hofft man Aufschluß darüber zu gewinnen, wie sich die eigene Sexualbeschaffenheit einmal entwickeln wird. Doch auch unabhängig von der Gegenleistung, die die Schaulust erwartet, kann der Exhibitionismus Befriedigungen bieten. Man stellt sich dar, weil man Bewunderung oder doch Neugier und Interesse zu wecken hofft. Aus solcher Darstellungslust werden die Neigungen zur Darbietung geweckt, wie sie der Schauspieler, der Sänger, der Gladiator oder Gaukler vollziehen. Jeder selbständig schaffende Mensch stellt in seinen Leistungen (als Kunst, als weltanschauliches Gedankengebäude, als wissenschaftliches Werk) ein Stück von sich selbst dar. Besonders deutlich wird das bei den Verfassern von Autobiographien, die ja so etwas wie Bekenntnisse sind. Jean Jacques Rousseau, der sich in seinen »Konfessionen« so sehr entlarvte wie niemand vor ihm, praktizierte gelegentlich auch jenen Exhibitionismus, der als sexuelle Perversion gilt. Der perverse Exhibitionist entblößt seine Geschlechtsorgane vor fremden Frauen, und zwar weniger, um so für sich zu werben, als um sie zu schockieren. Solche Männer sind gewöhnlich zu sehr gehemmt, um sich die Anknüpfung sexueller Partnerschaften zuzutrauen. Am häufigsten gibt es solche zwanghaften Akte der sexuellen Entblößung bei sehr jungen und bei alten Männern, also unter Bedingungen, die die Partnerschaft erschweren. Bei Frauen fällt der Entblößungsdrang kaum je als Perversion auf, da die Sitte ihnen viele Möglichkeiten der Schaustellung eingeräumt hat – von einer dekolletierten Mode bis hin zum professionellen »Striptease«.Sexuelle Abweichung, bei der Lust aus dem Herzeigen der Geschlechtsorgane gewonnen wird. In erweitertem Sinn bezeichnet der Begriff einen Teil des kindlichen Se-xualvcrhaltens und des Liebesspiels von Erwachsenen (in der psychoanalytischen Fachsprache wird der Ausdruck oft für die Zeigelust schlechthin, auch für schauspielerische oder andere künstlerische Leistungen verwendet). Beim voll ausgebildeten, als ernstliche Störung des Sexualverhaltens anzusehenden Exhibitionismus kann ein Mann nur dann einen voll befriedigenden Orgasmus haben, wenn er dabei fremden Frauen sein steifes Glied zeigt, wobei Abwehr- und Schreckreaktionen der unfreiwilligen Zuschauerinnen sogar besonders anregend wirken, während sexuelle Gefühle von selten der Zuschauerinnen vom typischen Exhibitionisten meist abgewehrt werden. Er bekommt dann Angst, was zu der psychoanalytischen Erklärung paßt, daß der Exhibitionist an die phallische Phase fixiert (Fixierung) geblieben ist und seine Kastrationsangst dadurch abwehrt, daß er Frauen sein Glied zeigt. Die sogenannten «Blitzer», die nackt durch die Straßen laufen, wiederholen eher die kindliche Zeigelust; hier sind auch Frauen vertreten, deren exhibitionistische Neigungen sich sonst fast nie zu einer störenden Extremform steigern, sondern eher durch Sublimierung (Bademoden, Striptease...) verarbeitet werden.

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