die sexuelle Schaulust (von französisch voir = sehen). Der Schautrieb hängt eng zusammen mit dem Drang, sich zu zeigen, dem Exhibitionismus. Diese beiden Partial-triebe werden in der frühen Kindheit geweckt, besonders wenn ein neues Kind erwartet und geboren wird. Ein Geschwisterkind wird als Rivale um die elterliche Liebe betrachtet, und man will wissen, woher die Kinder kommen und was der Vater mit ihrem Erscheinen zu tun hat. So dient der Voyeurismus der kindlichen Sexualforschung. Der Exhibitionismus ist eine Art Provokation; das Kind erwartet zum Dank dafür, daß es sich zeigt, auch etwas zu sehen. Es ist neugierig auf die Beschaffenheit des anderen Geschlechtes. Es möchte sich aber auch mit Geschlechtsgenossen vergleichen können, der Knabe mit erwachsenen Männern, besonders dem Vater, das Mädchen mit erwachsenen Frauen, besonders der Mutter, und beide mit Altersgefährten. Auf diese Weise entdeckt der Knabe, daß dem anderen Geschlecht der Penis fehlt, den er für einen selbstverständlichen Besitz hielt. Nun erst wird die Drohung glaubhaft, daß er sein Glied verlieren könnte. Das Mädchen entdeckt, daß ihm etwas fehlt, was Männer besitzen; daraus entsteht oft ein Gefühl der Benachteiligung. So hängen Kastrations Komplex und Penis-Neid eng mit der Phase der Sexualforschung, dem kindlichen Voyeurismus zusammen. Der Anblick lehrt den Kindern noch nichts über die innere Geschlechtsbeschaffenheit des Weibes. Die kindliche Neugier wird zwar von der Erziehung eingedämmt, aber der Schautrieb erwacht aufs neue während der Pubertät. Nach der Geschlechtsreife soll er sich, wie die anderen Partialtriebe auch, dem Genital-Primat unterstellen. Dann dient er der Vorlust. Er kann aber auch besonders stark und durch bestimmte Erfahrungen gefördert worden sein. Wenn andere Tendenzen der Sexualität gehemmt sind, kann er übergroße Bedeutung gewinnen. Im Fall einer Perversion ist er gleichsam isoliert; die Schaufreude wird zum Selbstzweck. Umgekehrt kann auch gerade sie stark gehemmt worden sein; sie löst dann eine Abwehr aus, die sie in ihr Gegenteil verkehrt: aus Schaulust wird Blickscheu und Prüderie. Ganz allgemein ist die Schaulust deshalb so wichtig, weil in der Kulturentwicklung der Gesichtssinn betont worden ist, während die »Sinne der Nähe«, vor allem aber der Geruchssinn, gehemmt und sogar tabuiert worden sind. Die Schaulust scheint oft ein Verlangen nach Schönheit zu sein. Als schön werden nicht die Geschlechtsorgane, sondern die sekundären Geschlechtsmerkmale empfunden. Da zugleich die Entblößung der Geschlechtsorgane für unanständig erklärt wurde, hat sich der Voy eurismus des Mannes auf andere Reize der Frau verschoben, auf den Busen, das Gesäß, die Beine, oder sogar auf die Unterkleidung und andere Kleidungs-Fetische. Gemeinhin ist die Schaulust bei Männern stärker entwickelt, und Gesichtsreize tragen bei ihnen mehr zur sexuellen Erregung bei als bei Frauen. Die sozusagen durchschnittliche männliche Schaulust wird heutzutage von Illustrierten und Sex-Magazinen, vom Theater und Film, vom Striptease und der Pornographie, ja sogar von der kommerziellen Werbung ausgebeutet und fleißig geschürt. In gewisser Weise wird sie sublimiert in der Bildenden Kunst, indirekt auch in der Literatur. Selbst die wissenschaftliche Sexualforschung wurzelt letzten Endes in einer voyeuristischen Neugier. Männer, bei denen der Voyeurismus überentwickelt ist, jagen bei jeder Gelegenheit nach einem sexuellen Anblick. Oft sind sie auf eine bestimmte >Beute< spezialisiert, wollen etwa Frauen in einer bestimmten Kleidung sehen, die für sie einen fetischistischen Reiz hat. Andere sind darauf aus, Augenzeugen bestimmter Situationen zu sein, lugen etwa durch ein Astloch in ein Bad oder einen Abort. Wieder andere möchten fremde Geschlechtsakte mitansehen. Neben den Fällen, in denen eine derartige Neigung das gesamte Sexualleben beherrscht, gibt es recht häufig eine Steigerung der voyeuristischen Tendenzen während der Pubertät und Adoleszenz und dann im Alter. Der sehr junge Mann ist Voyeur, weil er noch keinen Zugang zur vollen Sexualität hat, oder noch nicht wagt, sich auf eine volle Partnerschaft einzulassen. Der alternde Mann, der sich nicht mehr für hinreichend attraktiv hält, der Partnerinnen nicht mehr frei wählen kann, oder der an seiner Potenz zweifeln muß, kehrt zu dem Ersatz der Voyeursfreuden zurück. Die Gegenwart hat zweifellos die Schau-Erotik überbetont. Über dem modernen Allerwelts-Voyeurismus wird die Bedeutung des Sinnes der Nähe, des Tastsinnes, des Geschmacks und des Geruches vernachlässigt und damit auch der sinnliche Wert intimer Partnererlebnisse für die Liebe.Schau-Lust; Gewinn sexueller Lust aus dem Beobachten hete-ro- oder homosexueller Handlungen zwischen anderen Menschen. Als Teil der normalen Sexualität ist der Voyeurismus sehr weit verbreitet (Kauf von Sex-Magazinen, Betrachten pornographischer Filme). Viel seltener ist eine Perversion, bei der ein Orgasmus nur zu erreichen ist, wenn vorher oder gleichzeitig sexuelle Handlungen anderer beobachtet werden. Voyeurismus setzt wahrscheinlich eine gewisse Verbotshaltung der eigenen Sexualität gegenüber voraus; das schlechte Gewissen im Hinblick auf die eigene Sexualität wird dadurch erleichtert, daß andere bei sexuellen Handlungen beobachtet werden.
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