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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Melancholie

Autor
Autor:
Katharina Weinberger

die traurige Grundstimmung, die nach der antiken Typologie einem der vier Temperamente zugeordnet ist, in ihrer ausgeprägten Form eine seelische Erkrankung (Psychose), heute meist Depression genannt. Freud hat die krankhafte Melancholie mit dem Normalvorgang der Trauer verglichen. In beiden Fällen geht es um die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder eines Glaubens. In beiden Fällen bringt dieser Verlust eine große Verminderung des Interesses an der Außenwelt, der Liebesfähigkeit und der Leistungsbereitschaft mit sich. Bei der Melancholie kommt eine Herabsetzung des Selbstgefühls hinzu, die sich in Selbstvorwürfen äußert und oft die wahnhafte Erwartung einer Strafe einschließt. »Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei der Melancholie ist es das Ich selbst.« Die Selbstkritik sieht manchmal einer realistischen Selbsteinschätzung sehr ähnlich, »und wir fragen uns nur, warum man erst krank werden muß, um solcher Wahrheit zugänglich zu sein«. Doch »wer eine solche Selbsteinschätzung gefunden hat und sie vor anderen äußert . . ., der ist krank, ob er nun die Wahrheit sagt oder sich mehr oder weniger Unrecht tut«. Viele Selbstvorwürfe in der Melancholie passen aber nicht recht zum Wesen dessen, der sie erhebt. Zudem fällt auf, daß der Melancholiker sich der Schwächen, die er beklagt, nicht schämt, sondern mit einer »aufdringlichen Mitteilsamkeit« bekundet, daß er »an der eigenen Bloßstellung eine Befriedigung findet«. Er kritisiert mit einem Teil seines Wesens, dem Gewissen, sein übriges Ich. Ihm mißfällt seine Moral, weniger seine anderen Schwächen oder seine soziale Stellung; nur vor der Verarmung fürchtet er sich in einem krankhaften Maße. Die feindselige Einstellung zur eigenen Person kann zum Selbstmord führen. Aus den Besonderheiten der Melancholie ergibt sich, daß nicht mehr das verlorengegangene Liebesobjekt betrauert wird, sondern eine Art Selbstverlust. Das verlorene Objekt wird mit einem Teil des Ichs identifiziert. Die Libido hat sich von der Bindung an ein Objekt in Selbstliebe, Narzißmus, zurückverwandelt. Nur erbt dieser Narzißmus von der Liebe zum verlorenen Objekt die Ambivalenz, die nahezu jeder Liebe eigen ist. Das Gegengefühl, der Haß, ist nun verstärkt, eben weil man das Objekt der Liebe verloren hat. Indem sich der Melancholiker mit dem Objekt identifiziert, es sich einverleibt, wendet er diesen Haß gegen sich selbst. Diese sadistische Komponente der Melancholie drückt sich als Masochismus sowohl in der Selbstbeschimpfung wie im äußersten Fall in einem Selbstmord aus. Jeder Selbstmörder tötet im Grunde mit sich ein verlorenes Liebesobjekt und rächt sich zugleich an ihm. Die Identifizierung des Melancholikers mit dem Objekt, das er verloren hat, setzt eine Liebeswahl nach dem »narzißtischen Typ« voraus. Das heißt, daß ein Objekt gesucht worden war, das dem eigenen Ich ähnelt oder einer Wunschvorstellung vom Ich. Die Liebe war von Anfang an der Identifikation nahe verwandt. Die seelische Einverleibung stammt aus dem oralen Partialtrieb. Diese Beziehung erklärt, warum die Melancholie so oft zu einer Verweigerung der Nahrung führt. Melancholische Stimmungen wechseln oft mit »manischen«, freudig-überschwenglichen ab. Alle »Zustände von Freude, Jubel, Triumph« sind Reaktionen darauf, daß ein großer Aufwand an Hemmungen »endlich überflüssig wird«. Die Manie nach der Depression ist »ein solcher Triumph, nur daß es . . . dem Ich verdeckt bleibt, was es überwunden hat und worüber es triumphiert«, nämlich darüber, daß die Trauer über den Verlust überwunden ist. In der normalen Trauer zeigt sich ein solcher Triumph nicht, weil dabei der Grund der Trauer immer bewußt ist, und weil die Überwindung so langsam vor sich geht, daß kein Triumph mehr übrig bleibt. Was von der melancholischen Arbeit bewußt wird, ist aber »nicht das wesentliche Stück derselben«. »Von den drei Voraussetzungen der Melancholie: Verlust des Objekts, Ambivalenz und Regression der Libido ins Ich finden wir die beiden ersten bei den Zwangsvorwürfen nach Todesfällen wieder.« Von der normalen Trauer unterscheidet sich die Melancholie jedoch durch die Rückwendung (Regression) der Libido auf den Narzißmus und durch die Verlagerung ins Unbewußte.Griechisch für «schwarze Galle»; nach der antiken Lehre von den Körpersäften sollte ein Übermaß dieser Galle zu gedrückter Stimmung führen. Heute meist gleichbedeutend mit schweren Formen der Depression.

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