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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Emanzipation

Autor
Autor:
Anneliese Widmann-Kramer

allgemein: jede Befreiung von unmittelbarer oder geistiger Vormundschaft; heute oft im engeren Sinne auf die Befreiung der Frau von der Vorherrschaft des Mannes bezogen. Äußere Abhängigkeit ist meist mit einer geistig-seelischen Unmündigkeit gekoppelt, dem »Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen« (Kant). Diese Unmündigkeit wird durch Verweigerung einer höheren Ausbildung, durch unkritischen Glauben, festgefrorene Traditionen und unbefragte Tabus verstärkt. Jede Emanzipation setzt also eine Aufklärung voraus. Es genügt nicht, sich zu befreien; man muß auch die Realitäten erkennen, in denen der neue Status gesichert werden muß. In dieser Aufgabe liegen viele Schwierigkeiten auch der modernen Frauen-Emanzipation begründet. Unbestreitbar sind in der patriarchalischen, von Männern bestimmten Gesellschaftsordnung die Frauen benachteiligt. Einige dieser Ungerechtigkeiten sind durch die Entwicklung beseitigt worden. Nicht zuletzt durch die Protestbewegung der »Suffragetten« haben die Frauen das politische Wahlrecht erreicht. Auch sonst sind in den modernen Industriestaaten die Frauen vor dem Gesetz den Männern gleichgestellt. Ihnen ist die gleiche Schul und Hochschulbildung zu gänglich. Sie können die weitaus meisten Berufslaufbahnen einschlagen. Damit können sie materielle Unabhängigkeit vom Mann erreichen und sind nicht mehr auf die Ehe angewiesen. Die Entwicklung der empfängnisverhütenden Mittel befreit sie von den Risiken der Schwangerschaft und unerwünschter Mutterschaft. Damit sind auch die tieferen Gründe für die »doppelte Sexualmoral« hinfällig geworden. Denn daß man die sexuelle Freiheit der Frauen sehr viel mehr beschränkte als die der Männer, hat damit zu tun, daß die Männer sicher sein wollten, nicht unwissend oder doch unfreiwillig Bastarde wie eigene Kinder aufziehen zu müssen. Die sexuelle Unterdrückung der Frau, die so oft zur Frigidität führte, galt als Garantie ihrer Treue und vergrößerte die Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau. Männer wie Frauen finden sich in der neuen Situation einer annähernden Gleichberechtigung noch nicht ganz zurecht. Der Mann sieht sich der Stützen beraubt, die ihm sein Vorrecht gewährte, und fühlt sich seiner Männlichkeit nicht mehr sicher. Die Frau ist an die neuen Freiheiten noch nicht gewöhnt, vermißt oft die Führung oder will ihr neues Recht in übertriebener Weise betonen. Dabei richtet sie sich nicht selten nach den Regeln, die einst für die Rolle des Mannes galten, und findet keinen neuen Maßstab für ihre Weiblichkeit. Die weibliche Berufstätigkeit tritt in Konkurrenz mit den möglichen Auf gaben als Mutter. Nicht nur die Schwangerschaft schränkt die Berufsarbeit der Frau zeitweise ein, sondern auch die Pflichten dem Kind gegenüber, das vor allem im ersten Lebensjahr so unmittelbar auf ihre liebende Fürsorge angewiesen ist, daß man das Verhältnis zwischen Mutter und Kleinkind als Symbioseauffassen kann. Das Nebeneinander von Mutterschaft und Beruf darf weder zur Überbeanspruchung der Frau noch zu einer Vernachlässigung des Kindes führen. Wegen ihrer besonderen Aufgaben müssen der Frau deshalb besondere Schutzrechte eingeräumt werden. In dem neuen, annähernd gleichberechtigten Verhältnis der Geschlechter zueinander scheint die alte Vorstellung hinfällig geworden zu sein, daß zum Manne mehr Aktivität, zur Frau mehr Passivität gehöre. Aber die Geschlechtsausstattung des Mannes und die Voraussetzungen seiner sexuellen Funktionstüchtigkeit nötigen ihn nun einmal zu mehr Aktivität, ja zu mehr Aggression, während die Frau ihre biologische Rolle auch völlig passiv, als bloßes Sexualobjekt, erfüllen kann. Der sogenannte »kleine Unterschied« hat sehr viel größere Folgen, als sie in dem mißverständlichen Wort vom Penis-Neid angesprochen zu sein scheinen. In der Übernahme männlicher Muster durch die heftigsten Vertreterinnen der »womans liberation« wird das verkannt. Einige »Feministinnen« lehnen, sozusagen folgerichtig, nicht nur die Mutterschaft als Unfreiheit grundsätzlich ab, sondern auch jede Passivität, die das sexuelle Verhältnis zu einem Manne mit sich bringen könnte, und damit am Ende gar jede Heterosexualität überhaupt. Ein Gegenbeispiel findet sich manchmal in der Negerbevölkerung der Vereinigten Staaten. Hier sind die Frauen gewöhnlich die Überlegenen, weil sie eher eine ständige Berufsstellung finden als die Männer. Viele Negerfrauen finden es notwendig, das Selbstbewußtsein ihrer Männer zu stärken, um ihnen die »Männlichkeit« zu ermöglichen, die als Gegenpol zur Dynamik der Geschlechter-Beziehung gehört.Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff das Mündigwerden junger Männer und Frauen. Heute ist er auf Selbstbestimmung und Selbstbefreiung schlechthin ausgedehnt, wobei vor allem die Emanzipation der Frau zu einem Schlagwort geworden ist. Die Psychologie kann in allen Fällen eine wichtige Emanzipationshilfe sein, in denen es darum geht, Einstellungen zu verändern, welche einer Emanzipation feindlich sind. Das gilt etwa für die Bindung einer Frau an die herkömmliche Frauenrolle. Sie kann es oft nur mit Schuldgefühlen ansehen, wenn ihr Mann sich an der Hausarbeit beteiligt, obwohl auch sie berufstätig ist, oder sie fürchtet, nicht mehr geliebt zu werden, wenn sie ihre berechtigten Forderungen nach gleichen beruflichen Möglichkeiten durchzusetzen sucht. Die sexuelle Emanzipation betrifft die Befreiung der sexuellen Lust aus den moralischen und religiösen Verboten früherer Jahrhunderte (wonach Sexualverkehr nur zum Zweck der Kinderzeugung zulässig ist). Im Grunde kann man eine analytische Psychotherapie oder Gruppentherapie ebenfalls als Prozeß der Emanzipation von den unbewußt gewordenen Ge- und Verboten der Kindheit sehen. Durch Einsicht in die eigene Geschichte soll dabei die Möglichkeit gewonnen werden, sich von den erstarrten Folgen dieser Geschichte zu befreien.

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