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Psychologielexikon

Überarbeitete Ausgabe

Psychologielexikon

Traumatische Neurose

Autor
Autor:
Werner Eberlein

eine seelische Krankheit, die auf einen Schock (Trauma) zurückgeht. Immer handelt es sich dabei um eine unmittelbare Bedrohung des eigenen Lebens. Anders als die Übertragungs Neurosen, die auf Konflikten zu nahen Mitmenschen beruhen (die in der Beziehung zum Seelenarzt wiederbelebt, »übertragen« werden können), gehört die traumatische zu den narzißtischen Neurosen, die die Ich-Liebe betreffen. Die Bedrohung, die bei einem Unfall, einer Katastrophe oder im Kriege erlebt worden ist, zeigt die Gefährdung der eigenen Person und deren Schwäche gegenüber dem unberechenbaren Schicksal. Im Ersten Weltkrieg brachte der Granatschock, das Leiden der Zitterer und Schüttler nach den Erfahrungen in den Vernichtungsschlachten, das sich mit den Lehren der bislang üblichen Psychologie nicht erklären ließ, der Psychoanalyse die erste offizielle Aufmerksamkeit ein. In diesen Fällen zeigte sich die Eigentümlichkeit der traumatischen Neurose, daß sich nämlich das Schockerlebnis trotz seines leidvollen Gehaltes in Träumen und ungewollten Wachvorstellungen unablässig wiederholt. So wurde der vergangene Schrecken immer neu belebt. Diese Erscheinung gehört zu denen, die Freud zu der Einsicht zwangen, daß es im menschlichen Seelenleben Vorgänge gibt, die »jenseits des Lustprinzips« liegen und für das Wirken eines Todestriebes zu sprechen scheinen. Man könnte auch sagen, daß der Wiederholungszwang in der traumatischen Neurose die Aufgabe hat, allmählich den Schock zu verarbeiten, der im unmittelbaren Erleben nicht aufgefangen werden konnte. Doch war die psychische Verwundung eben so schwer, daß auch die nachträgliche Auseinandersetzung nicht gelingt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden sich die gleichen Krankheitsfolgen bei den traumatischen Neurosen von Häftlingen der Konzentrationslager, die sich von den Erlebnissen in dieser ständigen Erniedrigung und Bedrohung nicht mehr befreien konnten. Triebe sind die Grundkräfte des Lebens. Sie gehen von den fundamentalen Bedürfnissen des Körpers aus und bestimmen von daher auch unser Gefühlsleben. Insofern stehen sie zwischen der Biologie oder Physiologie und der Psychologie. Sie lassen sich nicht unmittelbar beobachten, sondern nur aus ihren Auswirkungen erschließen. Man hat eine Vielzahl von Trieben angenommen, etwa den Brut-, den Pflege-, den Herden-, den Spiel-Trieb usw. Andererseits fragte man sich, ob nicht alle Triebregungen auf wenige Grundtriebe zurückzuführen sind. Sigmund Freud ging im Anfang seiner Forschungen von zwei Trieben aus; er folgte dabei der volkstümlichen Auffassung vom Kräftespiel aus »Hunger und Liebe«. Doch ergab sich, daß die Sexualität nicht bloß der Arterhaltung dient, sondern der Libido, dem Lustverlangen folgt, und daß die Liebe auch und gerade dem eigenen Ich gelten kann. Aus der Erkenntnis der Bedeutung des Narzißmus ergab sich für Freud eine Einheit der lebenserhaltenden Triebe, die er Eros nannte. Zugleich gewann er Einsicht in das Wirken der zerstörerischen Gegentriebe (Destruktion, Aggression), die er geradezu als Todes-trieb auffaßte. In dieser letzten Konsequenz wurde sein Konzept nahezu allgemein abgelehnt; daß aber die Zerstörung ein unvermeidlicher Gegenpart des Lebens ist, läßt sich kaum bestreiten. Destruktion und lebenserhaltende Triebe mischen sich auf mancherlei Weise, am deutlichsten in den Erscheinungen des Sadismus und Masochismus. Anders als beim Instinkt der Tiere, der ihnen nach einem angeborenen Muster vorschreibt, wie sie ihre Lebensbedürfnisse befriedigen, wird mit dem Trieb die Art der Befriedigung noch nicht festgelegt. Die Instinkte sind beim Menschen weitgehend durch den Verstand, durch die Erziehung und damit durch Traditio nen überlagert und bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt. Der Mensch mußte lernen, die Realität zu erkennen, auch wenn diese Einsicht seinen Triebwünschen entgegensteht. Er mußte sich an die Gemeinschaft anpassen, ohne die er nicht mehr überleben kann. Die Triebe, die in der Tiefenschicht des Es wirken und an sich unbewußt bleiben, begegnen nun der Kontrolle des Ich, das unter anderem für die Anpassung an die Realität zu sorgen hat. Unter dem Druck der natürlichen wie der mitmenschlichen Umwelt werden Triebbedürfnisse aufgehalten, wenn ihre Befriedigung eine Gefahr für das Individuum bedeuten würde, oder es wird ihnen eine ungefährliche Ersatz-Befriedigung angeboten. Dank der Erziehung, namentlich des kleinen Kindes in der Familie, bildet sich eine dritte Seelen-Instanz, das Über-Ich, das die Lehren der Eltern, des Volkes, der Religion usw. vertritt und als Gewissen über die Einhaltung der Moral wacht. Durch solche Einflüsse ändern die Triebe ihre Wege. Sie graben sich gleichsam eine Bahn, der sie fortan folgen. Die »Triebschicksale« können in Verdrängungen, Neurosen, Perversionen, aber auch in Sublimierungen münden. Früher hat man sich die Verbindung der erotischen Triebe zu dem Objekt, dem eine Liebe galt, sehr eng vorgestellt. Tatsächlich gibt es Menschen, deren Libido sehr »klebrig« ist, d. h. lange an einem bestimmten Objekt haften bleibt; aber das ist individuell anlage und erlebnisbedingt. Bei anderen ist die Libido sehr flexibel, kann ihre Objekte also schnell wechseln. In der Antike ehrte man den Trieb und sah durch ihn den Wert des Objektes gesteigert; unter dem Einfluß des Christentums sah man erst durch den Wert des Objektes den Trieb gewürdigt. Manche Zeichen sprechen dafür, daß sich gegenwärtig ein neuer Wandel der Wertordnung zwischen Trieb und Objekt vollzieht. Der Sexualtrieb wird in der Tiefenpsychologie nicht als einheitliche Kraft aufgefaßt, sondern gewissermaßen als ein Strom, der aus verschiedenen Quellflüssen gespeist wird. Es sind dies die sogenannten Partialtriebe, die in den Phasen der frühkindlichen Sexualentwicklung nacheinander die Hauptrolle spielen, und die sich dann beim reifen Menschen meist dem Genital-Primat unterstellen, also der Geschlechter-Beziehung dienen. Im Falle einer Fehlentwicklung können der orale, der anal-sadistische, der voyeuristische bzw. exhibitionistische Partial-trieb ein Übergewicht erhalten und zum Mittelpunkt einer Perversion werden. Weder die sexuellen, noch die egoistischen, noch auch die zerstörerischen Triebe sind an sich »gut« oder »böse«. Sie speisen das Leben, das ohne sie nicht denkbar ist. Es kommt darauf an, wie der Mensch diese Kräfte einsetzt und kontrolliert. Eine strenge Triebunterdrückung müßte zu seelischen Krankheiten führen. Sie würde sich durch Apathie oder aber dadurch rächen, daß die gehemmten Kräfte in einer unerwarteten und schädlichen Weise durchbrechen. Triebkontrolle sollte heißen, daß man sich zwar kraft bewußter Einsicht versagt, was unter den gegebenen Umständen der eigenen Person oder anderen schaden würde, daß man sich aber die Befriedigungen verschafft, die notwendig, statthaft und lebensfördernd sind. Trotz, die heftige Abwehr gegen Forderungen der mitmenschlichen Umwelt. Diese Verweigerung des Gehorsams äußert sich besonders deutlich in der zweiten, der anal-sadistischen Phase der frühkindlichen Sexualentwicklung. Mit dieser Rebellion wehrt sich das Kind zunächst gegen die Gebote der Reinlichkeitserziehung, die einen Verzicht auf Lustgewinn bedeuten würden. Wird diese Phase sehr intensiv erlebt, trägt sie entsprechend zur Charakterbildung bei. Der sogenannte Anal-Charakter bleibt durch eine starke Neigung zum Trotz gekennzeichnet. Zum zweiten Mal äußert sich heftiger Trotz oft während der Pubertät. Hier zeigt sich ein Eigensinn, mit dem der junge Mensch beginnt, sich aus der Vormundschaft seiner Erzieher zu lösen. Die Abwehr wird umso stürmischer, je enger die Fesseln sind, durch die sich ein Kind an der Entwicklung zur Selbständigkeit gehindert fühlt. Zugleich mag es lernen, daß es sich mit Wutanfällen wirkungsvoller gegen Beschränkungen durchsetzen kann als auf friedliche Weise. Diese Erfahrung prägt manchmal den Charakter derart, daß später auch der Erwachsene zu Trotzhaltungen neigt.

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